700 E-Mails, grußlos: Eine Zwischenbilanz

Von Hendrik Achenbach

Vier Wochen ohne: Ein Realitätstest zeigt, dass der Verzicht aufs Grüßen in E-Mails tatsächlich Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten haben kann. Allerdings entsprechen diese nicht in allen Punkten den Erwartungen. Die wichtigste Erkenntnis: Ganz ohne geht es nicht.

Am 7. April veröffentlichte ich einen Text, in dem ich über die Inflation der Grüße in unserer E-Mail-Kommunikation klagte. Er wurde in meinem privaten Umfeld und von Kolleginnen und Kollegen gelesen und ich erhielt sowohl Lob als auch Kritik. In den vier Wochen, die seitdem vergangen sind, habe ich etwa 700 E-Mails verschickt und konsequenterweise in den allermeisten davon auf eine standardisierte Grußformel verzichtet. Damit habe ich genug Material gesammelt, um eine erste Bilanz ziehen zu können.

 

Meine These lautete, dass ein Verzicht aufs Grüßen unser Kommunikationsverhalten ändern könnte: Es würde "effizienter, ehrlicher und vielleicht sogar persönlicher." Wie sieht es mit diesen drei Punkten aus?

 

Das Grundproblem eines fehlenden Grußes habe ich schon in meinem ursprünglichen Beitrag aufgezeigt: Da manche Kommunikationsteilnehmer den Gruß nur dann weglassen, wenn sie Verärgerung ausdrücken oder ihrem Tonfall mehr Schärfe verleihen möchten, liest eine E-Mail ohne Gruß sich ganz anders. Sachliche Formulierungen zeigen plötzlich ein negatives Bedeutungspotenzial, wenn sie nicht mehr durch eine Grußformel neutralisiert werden. Deswegen habe ich vorgeschlagen, die unpersönliche Grußformel durch einen persönlichen, positiv formulierten Schlusssatz zu ersetzen und diesen Vorschlag in den letzten vier Wochen immer wieder in die Tat umgesetzt.

 

Viele meiner E-Mails wurden auf diese Weise sicher persönlicher. Die Aufforderung "Sag mir Bescheid, wenn ich noch etwas für dich tun kann" kommt sicher besser an als ein lapidares, sich unendlich wiederholendes "Viele Grüße" und sorgt vielleicht sogar dafür, dass der Kommunikationspartner sich ermuntert fühlt, mit weiteren Wünschen aufzuwarten (was nicht unbedingt beabsichtigt sein muss). Auch ein "Danke für deine Unterstützung - ich weiß sie zu schätzen" erzeugt beim Leser wohl eher eine positive Stimmung, auch wenn er bisher eigentlich gar nicht das Gefühl hatte, etwas Außergewöhnliches geleistet zu haben oder um etwas gebeten zu werden, dass er nur unter großen Mühen gewähren kann.

 

Effizienter wurde mein Kommunikationsverhalten durch den derart kompensierten Verzicht aufs Grüßen aber sicher nicht - hier lag ich falsch, und zwar gründlich. Es ist nur in wenigen Fällen möglich, eine schnelle Nachricht ohne Gruß zu senden, ohne sich intensive Gedanken über den Text zu machen. Ansonsten ist die Gefahr von Missverständnissen einfach zu groß. Das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger muss belastbar sein und einen hohen Grad an Vertrautheit aufweisen, um diese Form der Kommunikation zu ermöglichen. Natürlich endete nicht jede meiner 700 Nachrichten mit einem ausführlichen Schlusssatz, der auf die Beziehungsebene zielte. Trotzdem haben viele Nachrichten mir mehr Arbeit bereitet, als ihrem Gegenstand angemessen war.

 

Sie könnten nun einwenden, dass mir jeder Kommunikationspartner diesen Aufwand wert sein sollte, womit wir beim Thema der ehrlichen Kommunikation wären. Hier müssen wir zwischen privaten und geschäftlichen E-Mails unterscheiden, auch wenn die Grenze zwischen beiden in manchen Fällen fließend verläuft.

 

Mein ursprünglicher Ansatz, auf die üblichen Grußformeln zu verzichten, lässt sich im privaten Umfeld mit vertretbarem Aufwand und ohne allzu viele Ausnahmen durchhalten, denn erstens besteht hier häufig die notwendige Vertrautheit zwischen Sender und Empfänger und zweitens (das mag bei Ihnen aber anders sein) schreibe ich nur wenige private E-Mails pro Tag: Von den 700 Nachrichten, über die wir hier reden, waren nur etwa 50 privat.

 

In der geschäftlichen Kommunikation geht es aber ganz anders zu. Natürlich existieren in diesem Bereich ebenfalls Beziehungen zwischen Kommunikationspartnern, die ein persönliches Grußverhalten zulassen. Darum geht es hier aber nicht. Problematisch sind die Mitteilungen, die ohne Gruß unerwünschte Wirkungen auslösen könnten, in denen eine allzu persönliche Schlussbemerkung aber ebenfalls deplatziert wirken muss. Ich denke hier an Nachrichten, die an eine größere Anzahl von Empfängern gerichtet sind oder mehrere Hierarchiestufen zu überwinden haben. Abgesehen davon sehe ich ein weiteres Problem: Persönliche Formulierungen, die allzu häufig als Schlusssatz eingesetzt werden, würden mit der Zeit an Wirkung verlieren. Irgendwann wäre es womöglich an der Zeit, nach der Inflation der Grüße eine Inflation der Verbindlichkeit zu diagnostizieren.

 

Ähnliches gilt aber natürlich auch für allzu überschwängliche Standardgrußformeln. Wer eine Nachricht an mehrere tausend Empfänger mit "Herzlichen Grüßen" oder "Warm regards" abschließt, suggeriert für meinen Geschmack mehr Zuneigung, als vorhanden sein kann. Hier würde ich in vielen Fällen einen unpersönlicheren Stil bevorzugen.

 

Welche Schlüsse ziehe ich also aus dem vierwöchigen Realitätstest, dem ich meine These ausgesetzt habe? Die "formelhafte Freundlichkeit", gegen die ich mich in meinem ursprünglichen Beitrag gewehrt habe, hat durchaus ihre Berechtigung. E-Mails müssen nicht immer persönlich, sollten aber stets höflich sein. Hier kann der einfache "Gruß" ("Regards") helfen. Das heißt aber nicht, dass ich nun jede meiner Nachrichten mit

 

Gruß
Hendrik

 

oder gar mit

 

Gruß/Regards
Hendrik

 

beenden werde. So einfach mache ich es mir nicht. Schließlich habe ich in einigen Fällen - sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld - erfolgreich auf den Gruß verzichtet. Die jeweiligen Kommunikationspartner haben in diesen Fällen freundlich und persönlich, aber ebenfalls ohne Grußformel zurückgeschrieben, worüber ich mich gefreut habe. Ein vollständiger Verzicht aufs formelhafte Grüßen scheint mir aber nicht möglich zu sein. Also probiere ich jetzt ein Mischmodell aus und verwende Grußformeln so häufig wie nötig und so selten wie möglich. Und wenn das auch nicht funktioniert, schreibe ich den dritten Teil in dieser Serie.